Teurer Stoff
Dschibuti? Nicht mal die US-Army kam an das Trikot!"
Protokoll
Fotos
Tobias Ahrens
Dominik Asbach
Der Stoff, aus dem die Träume sind: Sascha Düerkop hat die Trikots aller 211 FIFA- Mitgliedsverbände gesammelt- und wurde so zum Staatsfeind in Aserbaidschan
Dschibuti-2021
Zehn Jahre habe ich gebraucht, um die- ses Trikot zu erhalten. 2015 stand ich erstmals in Kontakt zu Suleiman Has- san Waberi, dem Verbandspräsidenten Dschibutis. Er sagte mir: Kein Pro- blem: Komm vorbei, dann kriegst du eins." Wenn es nur so einfach wäre! Ein Flug kostet tausend Euro und natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt, das Geld für diesen Flug auszugeben. Aber es müsste doch auch einfacher gehen: Ich kontaktierte den nationalen Kajak-Ver- band Dschibutis, denn ich hatte erfahren, dass er von einem US-Amerikaner geleitet würde. Der Funktionär ging auf mein Bitten zu seinem Amtskollegen, doch al- les, was er erhielt, waren Poloshirts mit dem Wappen des dschibutischen Fuß- ballverbands. Es schien, als würde nie- mand verstehen, was ich benötige. Ich besitze über 700 Trikots. Bis vor kurzem fehlte mir aber genau dieses Exemplar, um mein Ziel zu erreichen, mindestens ein Trikot von jedem Mitgliedsverband der FIFA zu haben. Djibuti war meine Blaue Mauritius. Viele Sammler benö- tigen Trikots aus Ozeanien. Ich kenne einen deutschen Sammler, dem nur noch das Nationaltrikot von Amerikanisch Sa- moa fehlt. Es ist nämlich so: Die meisten Nationalspieler sind Amateure. Spieler, die hierzulande eher in der Kreisliga spielen würden: Guinea-Bissau, St. Kitts and Nevis, Timor-Leste und viele mehr. Organisierte Fanshops gibt es dort nicht. In diesen Fällen versuche ich die Spieler über die Sozialen Medien zu kontaktie- ren und bitte sie, mir ein Trikot zu sen- den. Bei Facebook habe ich so über 8000 Kontakte angehäuft, einige von ihnen sind Freunde geworden. In Dschibuti, am Horn von Afrika, sind viele Soldaten stationiert. Über facebook meldete sich nach einer Zeit ein amerikanischer Offizier. Er sei der Typ, der die Mission leite. Zwar könne er nicht direkt zum Verbandsgebäude rücken, aber einen Konvoi daran vor- beifahren und dort stoppen lassen. Aus Sicherheitsgründen darf die Pause eines militärischen Konvois maximal 15 Minu- ten betragen. Ausgerechnet an jenem Tag verspätete sich der Präsident. Nicht ein- mal die US-Army kam an dieses Trikot! All die Arbeit endete mit einem Zufall. Ein Sammler aus Belgien hatte mich kon- taktiert. Du, hör mal", schrieb er,,,da ist jemand, der verkauft acht dieser Trikots. Schreib ihm schnell." Es kostete 80 Euro.
Das Nationaltrikot Dschibutis hat Düerkop 80 Euro gekostet - ihm ist es etwas mehr wert.
Guatemala-2007
Begonnen hat alles mit Guatemala. Zu- vor hatte ich zwei oder drei Trikots im Urlaub gekauft, die sich zum Teil als Fälschungen herausstellen sollten. Auf einem Blog stellte ein Engländer die Frage, was es kosten würde, die Trikots aller FIFA-Mitgliedsverbände zu erhal- ten. Das fand ich spannend. Kurz darauf habe ich bei einer Auktion dieses Trikot von Guatemala für drei Euro gefunden und spontan gekauft. Ich nahm mir vor, keine Trikots zu ersteigern, die teurer als zehn Euro waren. Später war dieser Vorsatz nicht zu halten. Eine besondere Sammelleidenschaft ist bei mir übrigens nicht ausgeprägt. Als Kind hatte ich Briefmarken, aber das erschien mir bald langweilig. Interesse hatte ich an Geogra- fie, die Hauptstädte die Trikots kaum. aller Länder kannte ich früh auswendig. Aus dem Urlaub bringe ich besonders hässliche Magneten mit. Nationaltrikots gefallen mir weit bes- ser als die der Klubs, denn durch die Farben und Muster wird oft die Kultur des Landes transportiert. Übrigens: Der Engländer, Nick, lebt in Peterborough und ist einer von vier Menschen auf dieser Welt, die zu einem auserwählten Kreis gehören. Er, Joe aus Aberdeen, Eric aus Kanada und ich ha- ben unsere Sammlungen komplettiert. Was sie wert sind? Wir haben längst den Überblick verloren.
Privat trägt er Nur als Do- zent an der Uni Aachen trug er bei jedem Semi- nar ein anderes. Mode sei ihm nicht wichtig.
Montenegro-2016
Was sagt eigentlich deine Frau dazu? Diese Frage wird mir natürlich oft ge- stellt. Als wir uns kennenlernten, leb- ten wir anfangs in einer 50 Quadratme- ter großen Wohnung, darin 15 Kisten mit meinen Exponaten. Sie bat mich bald, die Kisten in den Keller zu brin- gen. Nach einem Hochwasser drückte dort das Wasser durch den Beton, wir mussten alle Hemden waschen und auf Leinen quer durch die Zimmer zum Trocknen hängen. Ich glaube, da hat es zwischen uns ein bisschen geknirscht. Als Kind habe ich mich nicht sehr für Fußball interessiert. Eher hat mich die Sammelleidenschaft fußballsozialisiert. Und meine Frau hat verstanden, dass es mir weniger um die Trikots als Objekt geht, sondern mehr um die Kontakte und kuriosen Geschichten, die man auf der Suche sammelt. Unseren ersten großen Urlaub abseits der Pauschalreisen ver- brachten wir auf dem Balkan. Ich wusste, dass sich in der Stadt Niksic ein Fanshop der montenegrini- schen Nationalmann- schaft befindet. Und meine Freundin bemerkte schnell, dass ich nicht wegen der Sehenswürdigkeiten in diese Stadt wollte. Doch als wir im Einkaufszentrum ankamen, hatte der Laden geschlossen. Ich überredete sie, nach Podgorica statt an den Strand zu fahren, denn dort sollte sich ein weiterer Shop befinden. Der Umweg kostete uns einen weiteren Urlaubstag. Eine Grenz- erfahrung, oder? Am Tag darauf machte ich ihr jedenfalls einen Heiratsantrag. Sie hat Ja gesagt.
Rückennummer 10, Sascha: Das kosovarische Trikot fällt nicht in die Kategorie matchworn.
Düerkop sam- melt National- trikots, denn Vereine seien zu einfach. Ein Li- ga-Set kann ich an einem Tag im Internet zu- sammenkaufen."
Kosovo 2016
Als mir das Geld ausging, um National- trikots zu kaufen, bin ich auf jene Ver- bände gestoßen, die von der FIFA nicht anerkannt werden, weil sie regionale Gruppen oder ethnische Minderheiten abbilden. Als Erstes besorgte ich mir ein Trikot der Isle of Man, einer Insel zwi- schen England und Nordirland. Diese Verbände organisierten sich selbst, spielten gegeneinander und bestritten Turniere. 2013 erhielt ich eine Anfrage, ob ich ein Team aus den USA bei einer Konferenz in München vertreten könnte. Da war ich sofort dabei, denn ich woll- te die Gelegenheit nutzen und weitere Kontakte knüpfen. Auf dieser Konferenz brach die Organisation zusammen. Am nächsten Tag gründeten wir die CONI- FA einen neuen Fußballdachverband für Nichtmitglieder der FIFA. Weil ich zuvor alle Kontakte gesammelt hatte, war ich plötzlich mittendrin und wurde Generalsekretär, was ich bis 2020 blieb. Wenn man so will, war ich Gianni Infan- tinos Gegenspieler. Das hatte zur Folge, dass ich in Aserbaidschan zum Staats- feind erklärt wurde und bis heute nicht einreisen darf. Mit der CONIFA unter- stützen wir die Region Bergkarabach. Und auch mit Vertretern des kosovari- schen Fußballs konnte ich mich nicht treffen, als der Verband darauf drängte, Mitglied der FIFA zu werden. Ein Treffen mit mir hätte die Chancen verringert, hieß es, und den Kosovaren würde die Teilnahme an einer Europa- oder Welt- meisterschaft vermutlich alles bedeuten. 2016 erhielten sie den Status eines Mit- gliedsverbands. Ihr langjähriger General- sekretär Artan Govori schickte mir dieses Trikot, als der Verband mehr als einen Satz für seine Mannschaft besaß. Er be- flockte es als Dankeschön mit meinem Namen. Ich habe ihm nie gesagt, dass es dadurch sofort an Sammlerwert verlor.
Teurer Stoff
Turkmenistan-2012
Es gibt eine Handvoll Kniffe, die man braucht beim Trikotsammeln. Denn nicht alles findet sich im Kleinanzeigen-Por- tal. Ein guter Anfang ist es, die National- spieler kleiner Nationen anzuschreiben und um ein Trikot zu bitten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, lokale Reise- führer zu fragen, denn sie wissen meist, wie sie an die ersehnten Shirts kommen und wie sie sich günstig verschicken lassen. Wirklich kompliziert wird es in Ländern wie Turkmenistan. Das Land gehört zu den restriktivsten Staaten der Welt und ist in Sachen Menschenrechte vergleichbar mit Nordkorea. Nur eine kleine Gruppe hat bis heute Zugang zum Internet nicht einmal der nationale Fußballverband. Bei der FIFA war jedoch eine Mailadresse hinterlegt, die einem Mitarbeiter des Asiatischen Olympischen Komitees in Dubai gehört. In irgendeiner Weise arbeitete dieser Mann auch für den Fußballverband und er wollte mir netter- weise helfen. Er wiederum fragte mich, ob ich ihm originale Boxhandschuhe für Mixed Martial Arts zusenden könne, denn sein Sohn sei großer Fan. Aufgrund der Sanktionen sei es jedoch unmöglich, in Turkmenistan an diese Handschuhe zu kommen. Kein Problem für mich! Aus- gerechnet an Heiligabend erhielt ich dieses Trikot und ich stellte mir vor, wie zur gleichen Zeit ein Junge in Turkmenis- tan seine neue Ausrüstung ausprobierte. Ich finde, das Trikot der Turkmenen im dunklen Grün ist wirklich schön. Dabei handelt es sich um Stangenware eines großen Ausrüsters, der seine Trikots vermutlich ins Land schickt, damit der Verband nur noch sein Wappen aufsti- cken muss. Einfallslos im Vergleich zu den vielen Eigenmarken und originellen Designs anderer Nationen. Die Rarität macht in diesem Fall die Schönheit aus. Mittlerweile gibt es das Trikot übrigens im Internet für 300 Euro zu kaufen. Ich glaube, ich kenne den Händler. Ein jun- ger Turkmene, der zur Elite des Landes gehört, hatte eine Zeit lang Bilder von Länderspielen hochgeladen. Er besuchte eine Diplomatenschule in Belarus und war traurige Ironie - von den Freihei- ten in diesem Land völlig überwältigt. Wir schrieben ein wenig, er stellte einen Kontakt zur belarussischen Delegation her. Nach einer Weile musste er zurück in sein Heimatland, um seinen Militär- dienst zu absolvieren. Es scheint so, als habe er seinen Internetzugang behalten dürfen. Und als habe er sich einen netten Nebenverdienst aufgebaut.
Im Kleiderschrank befinden sich ausgefallenste Schnitte und Muster. Turkmenistan gehört nicht dazu.