Gianni Infantino stand auf einer Bühne. Es war seine Show, natürlich. Eine Band spielte, zwei Moderatorinnen begrüßten ihn. Ronaldo war da, der Brasilianer. Alessandro Del Piero, der Italiener. Youri Djorkaeff, der Franzose. Und Donald Trump, der Amerikaner, per Video zugeschaltet, sagte: „Gianni ist ein Gewinner.“ Dann präsentierte Infantino einen großen goldenen Schlüssel, mit dem er „die Tür zu den Herzen des Volkes öffnen“ wolle, und erzählte stolz, dass rund viereinhalb Milliarden Menschen auf der Welt die Klub-WM schauen würden. Spiele wie Boca Juniors gegen die Bayern, Fluminense gegen Dortmund, Juventus gegen Wydad. Es werde historisch, sagte der FIFA-Präsident, ein Spektakel. Zum Wohle aller. „Die Einnahmen der KlubWM werden zu 100 Prozent in den Klubfußball reinvestiert. Als Preisgeld an die teilnehmenden Vereine, aber auch als Solidarität an alle anderen Klubs auf der Welt.“ Wer um Himmels willen könnte etwas dagegen haben?
Ein halbes Jahr nach der Auslosung in Miami sitzt Gordon Watson in seinem Büro und brütet über der bevorstehenden Reise in die USA. Watson ist Geschäftsführer des Auckland City FC, der als Gewinner der Ozeanischen Champions League ebenfalls an der Klub-WM teilnehmen wird. Er hat nichts gegen das Turnier, im Gegenteil. „Es ist ein Traum, der wahr wird“, sagt er, denn man müsse sich das nur mal vorstellen: Auckland City ist ein Amateurteam, die Spieler gehen regulären Berufen nach, einer arbeitet als Lehrer, ein anderer als Friseur, Training ist nach Feierabend. Der gesamte Kader hat in etwa den Wert eines Bundesliga-Ersatzkeepers. Und nun trifft diese Hobbytruppe bei einem FIFA-Turnier auf Boca, Bayern, Benfica.
Aber Watson ist auch verärgert, denn von den Klub-WM-Prämien wird bei ihnen kaum etwas ankommen. „Wenn wir Glück haben, landen wir bei plus minus null“, sagt er, und man muss kurz stutzen, denn der Weltverband schüttet doch angeblich über eine Milliarde US-Dollar an die Teilnehmer aus, so viel wie nie zuvor.
Die Sache hat nur diesen Haken: Das Geld wird ungleich verteilt. Spitzenklubs aus Europa, etwa Real Madrid oder die Bayern, bekommen schon fürs Mitmachen über 30 Millionen US-Dollar. Der Vertreter aus Ozeanien, also Auckland, erhält nur rund dreieinhalb Millionen US-Dollar, und davon wiederum streicht der neuseeländische Fußballverband noch mal den Löwenanteil ein. Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, wie viel am Ende für den ACFC übrigbleibt. Die meisten Gesprächspartner sagen, es sei kaum mehr eine Viertelmillion, und die reicht gerade so aus, um die Reisekosten zu decken und die Teilnahmebedingungen zu erfüllen, die wirklich exorbitant sind. Jeder Teilnehmer musste zum Beispiel vorab drei komplette Trikot-Sets an das FIFA-Hauptquartier nach Zürich schicken. Für Profiklubs ein Klacks, für den ACFC, der normalerweise nur zwei Trikotsätze hat und noch auf der Suche nach einem Sponsor war, bedeutete schon das einen großen Aufwand. Auch andere Auflagen sind mit hohen Kosten verbunden. So fordert die FIFA etwa, dass jeder Teilnehmer ein Security-Team und ein Medien-Team hat. Der ACFC, bei dem fast nur Ehrenamtliche arbeiten, stellte drei Personen fest an. Und informierte die Spieler, dass die Teilnahme an der Klub-WM doch nicht mit einem Lottogewinn vergleichbar sei. Eher mit einem Pay-to-play-Gig, bei dem eine unbekannte Musikband Geld zahlt, um bei einem Konzert eines Popstars als Support mitzuspielen.
Einmal sprach Watson das Thema bei der FIFA an. Bei einem Meeting in Miami mit Gianni Infantino und Vertretern der teilnehmenden Klubs ergriff der Neuseeländer das Mikrofon und klärte die Anwesenden über ihre prekäre Situation auf. Die anderen reagierten erstaunt, ein PSG-Funktionär soll geraunt haben: „Diese Bastarde! Lasst nicht zu, dass sie euer Geld bekommen.“
Dabei hat auch der neuseeländische Fußballverband gute Gründe, einen Teil des Geldes einzustreichen. Er möchte es nämlich unter den Vereinen der lokalen Liga aufteilen, um so ein sportliches Gleichgewicht zu wahren. Er praktiziert also tatsächlich das, was Infantino vorgibt: Solidarität. In Deutschland, Spanien oder England werden die Topklubs hingegen über 90 Prozent der Gagen und Prämien behalten und den Abstand zu den anderen Vereinen weiter vergrößern.
Die aufgeblasene Klub-WM hat in Europa keinen guten Ruf. Ein zusätzliches Megaturnier im Sommer gefährde die Gesundheit der Spieler, warnte die Spielergewerkschaft FIFPRO: „Das führt zu körperlicher Erschöpfung, Verletzungen, psychischen Problemen.“ Auch Toni Kroos sprach sich gegen das Turnier aus: „Man muss mal aufwachen und ein bisschen an die Spieler und ein ganz kleines bisschen weniger ans Geld denken.“
Im Rest der Welt war die Stimmung von Anfang an euphorischer. Teams aus Asien oder Afrika, die sonst im Schatten der europäischen Ligen stehen, freuten sich auf die sportliche Herausforderung und die Aufmerksamkeit. Und natürlich auch auf das Geld. Denn viele von ihnen betreiben einen ungeheuren Aufwand, um überhaupt Fußball zu spielen.
So wie der Auckland City FC, der eine jahrelange Reise hinter sich hat. Der Verein ist im Grunde ständig unterwegs, in Australien, auf abgelegenen Inseln im Südpazifik, bei der Klub-WM auf anderen Kontinenten. Gordon Watson hat es einmal ausgerechnet: „Seit der Vereinsgründung 2004 ist das Team einmal zum Mond gereist und wieder zurück – und noch mal eine halbe Strecke zum Mond.“
Auf dieser Megatour hat der ACFC ziemlich viel Werbung für Neuseelands Fußball gemacht. 2014 wurde das Team bei der Klub-WM in Marokko Dritter. Schon nach den Siegen gegen Teams aus Marokko und Algerien standen einige Spieler vor Watson und baten ihn, ihre Arbeitgeber zu kontaktieren – sie hatten nicht genug Urlaub für weitere Spiele eingereicht. Im Halbfinale verloren sie unglücklich in der Verlängerung gegen den amtierenden Copa-LibertadoresSieger San Lorenzo, und im Spiel um Platz drei besiegten sie den mexikanischen Vertreter Cruz Azu Ob sie dieses Wunder nun wiederholen können? „Kaum vorstellbar“, sagt Blair Shaw, ein ACFC-Allesfahrer, der natürlich auch in den USA dabei ist. 13 000 Kilometer, 25 Stunden Flugzeit, Reisekosten in fünfstelliger Höhe. Sie werden mit dreißig Fans bei den Spielen sein. Die anderen Teams mit 3000, einige mit 30 000.
Shaw sitzt im Klubheim des ACFC, gerade hat er mit Freunden die Wiederholung der Halbfinalhinspiele in der europäischen Champions League geschaut. Inter holte ein 3:3 beim FC Barcelona. „Was für ein Spiel!“, sagt Shaw, und dann erzählt auch er ein wenig von ihrer verrückten Reise. Vor ein paar Wochen erst waren sie auf den Salomoninseln beim Finalturnier der OFC Champions League. Es war unfassbar heiß, 38 Grad, Luftfeuchtigkeit beinahe 100 Prozent. Die Fans drückten sich unter die Bäume, die das Stadion säumten, und manchmal war das Spielfeld komplett bedeckt von Kröten, die in der Nacht aus den Wäldern hinübergehüpft waren. „Die Spieler wussten oft nicht, was sie schossen: eine Kröte oder den Ball“, sagt Shaw. Das Finale fand an einem Tag statt, an dem der neuseeländische Fußballverband kurioserweise ein Ligaheimspiel terminiert hatte. Der ACFC absolvierte tatsächlich beide Spiele: Das Spiel in Auckland verlor das Team am Vormittag 0:1, das Finale auf den 3500 Kilometer entfernten Salomonen gewann es am Nachmittag 2:0. „Nun stell dir das mal vor“, sagt Shaw. „Dieses Team mit seinen Feierabendfußballern, die auf einem Platz voller Kröten spielen, treten gegen die Bayern und Boca an.“ Als Botschafter des weltweiten Amateurfußballs. Als Beweis dafür, dass der Fußball nicht immer aussehen muss, als wäre er von einer KI generiert worden.
Shaw führt durch die Räume des Klubheims. An den Wänden hängen Schals aus aller Welt, viele von Hajduk Split; Auckland City hat eine große Anhängerschar unter den kroatischen Einwanderern, die Anfang der Sechziger an derselben Stelle einen Vorgängerverein gegründet haben. Am Wochenende geht es im Derby gegen den Auckland FC, den neuen Rivalen in der Stadt – und ein Verein, der oft mit ihnen verwechselt wird. Gerade jetzt, im Vorfeld der Klub-WM. Deshalb noch mal zum Mitschreiben: Der Auckland City FC wurde vor über 20 Jahren gegründet und spielt in der National League, einer reinen Amateurliga. Zehnmal hat der ACFC die Meisterschaft gewonnen und zwölfmal die Champions League in Ozeanien. Der Auckland FC, ein Profiklub, hat nicht nur einen ähnlichen Namen, sondern auch ähnliche Vereinsfarben und ein ähnliches Wappen. Er tritt in der australischen A-League an und könnte theoretisch auch an der Klub-WM teilnehmen, dazu müsste er Meister der A-League werden und dann die asiatische Champions League gewinnen. Gegründet wurde der AFC vor knapp zwei Jahren von einem texanischen Milliardär.
Auf die Frage, ob es eine Rivalität zwischen dem ACFC und dem AFC gebe, weichen die meisten Gesprächspartner aus. Watson, der Geschäftsführer von Auckland City, nennt das Wappen und den Namen des Stadtkonkurrenten „interessant“. Shaw sagt, dass der AFC „für echte Fußballfans ein Plastikklub“ sei.
Aber er funktioniert, denn nicht etwa der Klub-WM-Underdog zieht die Massen an, sondern der Plastikklub. Zu den Ligaheimspielen des AFC kommen regelmäßig über 20 000 Zuschauer. Beim ACFC sind es ein paar hundert. So auch an einem Samstag Anfang Mai, als Auckland City die zweite Mannschaft des AFC empfängt, die weiterhin im neuseeländischen Ligasystem antritt. Das Stadion an der Kiwitea Street, Fassungsvermögen 2500, versprüht den Charme einer Bezirkssportanlage. Aber Shaw und seine Fangruppe „248 Service Crew“ – der Name geht nicht auf die Leeds-Hools, sondern auf eine Buslinie zurück – machen ordentlich Rabatz, sie haben Fahnen und Trommeln dabei. Es nützt nur nichts, ihre Mannschaft verliert 0:1. Am nächsten Tag brüten die Vereinsmitarbeiter um Gordon Watson wieder über der Reise in die USA. Der Vorsitzende Ivan Vuksich erzählt von neuen FIFA-Forderungen. So müsse jedes Team nun auch einige Warm-up-Games vorab bestreiten. „Amerika ist da nicht günstig, und alle Kosten dafür müssen wir tragen.“
Wird sich der Aufwand lohnen? Fällt am Ende doch ein bisschen mehr Geld ab? Kann der ACFC neue Fans durch das Turnier gewinnen? Oder wird sogar ein kleiner Fußballhype in Neuseeland ausbrechen?
Einer, der das wissen muss, ist Wynton Rufer, der ein paar Autominuten westlich des ACFC-Stadions sein Büro hat. Er war einer der ersten neuseeländischen Fußballer, der nach Europa ging. In den Neunzigern gewann er mit Werder Bremen die Meisterschaft, den DFB-Pokal und den Pokalsieger-Cup. Heute leitet er eine Fußballschule, einige seiner ehemaligen Schützlinge spielen mittlerweile für den ACFC, und Ivan Vicelich, der 2014 als Verteidiger für den ACFC bei der Klub-WM dabei war und heute Co-Trainer des Teams ist, nennt er einen Freund. Aber er nimmt direkt mal die Euphorie raus. Es sei ja schön und gut, dass Auckland City nun gegen die Großen spielt, aber die Klub-WM werde keinen Effekt haben. „Auckland City ist doch jedes Mal bei der Klub-WM dabei, aber das bekommen hier nur ein paar Nerds mit. Und um einen Fußballhype zu entfachen, müsste Neuseeland Weltmeister werden.“ Dann lacht er laut – und schiebt nach kurzer Unterbrechung nüchtern nach: „Eher unrealistisch.“ Immerhin hat sich die Nationalelf jüngst zum ersten Mal seit 2010 wieder für eine WM qualifiziert. Mit einem Sieg gegen Neukaledonien.
Hinter den Kulissen soll es weiter brodeln. Anfang Mai hat sich der Verband öffentlich immer noch nicht zur Verteilung der Prämien geäußert, auch unsere Anfrage lässt er unbeantwortet. So oder so werden die Spieler von Auckland City am 15. Juni in Cincinnati gegen die Bayern auf dem Feld stehen. Sie werden das Spiel ihres Lebens machen – und wissen, dass einige ihrer Gegenspieler in diesen 90 Minuten mehr verdienen als sie in einem Jahr.